junges theater spectaculum e.V.

FAUST-Projekt

Vom jungen theater spectaculum e.V. ist im Herbst 2006 unter der Leitung von Gunter Hagelberg mit der Inszenierung von Goethes "Faust I" begonnen worden.

Goethe und Mozart

Goethes Faust

1788 bis 1800, zur gleichen Zeit, als Goethe an seinem "Faust - ein Fragment" arbeitete, komponierte Mozart seine große g-Moll Symphonie (K 550). Zu einer Verbindung und gemeinsamen Arbeit beider Genies kam es leider nicht; erst 1829 äußerte Goethe gegenüber seinem Sekretär Eckermann: "Mozart hätte die Musik zum Faust komponieren müssen!" Dass sie sich wunderbar ergänzt hätten, steht wohl außer Frage. Nicht zufällig hat Goethe Mozarts Zauberflöte auf der Bühne (zwischen 1791 und 1817) zweiundachtzig Mal aufführen lassen.

Der Theaterdirektor skizziert im 'Vorspiel auf dem Theater' die dramaturgische Konzeption zum "Faust": "So schreiten wir im engen Haus den ganzen Kreis der Schöpfung aus und wandeln mit bedächt 'ger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle". Das war Goethes Programm: der Mensch in seinen Widersprüchen zwischen Gut und Böse, hell und dunkel, in dem Spannungsfeld zwischen Hoffen und Bangen, Sehnsucht und Resignation leichtem Spiel und ernstem Ringen, zwischen Glück und Verzweiflung.

Hätte Goethe die g-Moll Symphonie gehört, er hätte all das wieder gefunden in Mozarts Musik: die Kontrastierung und Verbindung heiterer Leichtigkeit in den Klavierläufen und Flöten mit drückenden Orchesterpassagen, der hellen Lebensfreude mit dunkler Schwermut, der zögerlichen Orientierung einzelner Töne, die den Atem anhalten, mit rasend vorwärts drängenden Akkordkaskaden - eben: das komplette Menschsein und Mozarts "Ausschreiten im ganzen Kreis der Schöpfung". Die Kontraste stehen dabei nicht unverbunden nebeneinander, sie fließen unmerklich ineinander und bedingen sich gegenseitig - vergleichbar bei Goethe:
So mündet Fausts Wissensdrang in Resignation und Lebensüberdruss, so weicht die bescheidene Lebensfreude auf dem Osterspaziergang der unkontrollierten Begierde, sich die Welt Gretchens anzueignen, so wird die Besessenheit, Grenzen zu überschreiten, abgelöst durch Erkenntnis und Reue. Mehr fiel Goethe auch nicht dazu ein: "Da kommen Sie und fragen, welche Idee ich in meinem 'Faust' zu verkörpern gesucht?" fragt er am 06.Mai 1827 Eckermann, "als ob ich das selber wüsste und aussprechen könnte!"

Peter Sellars, ein Organisator des Mozartfestivals anlässlich des 250 jährigen Geburtstages des Komponisten, betont in einem Gespräch ("Die Zeit"/ 05.01.06) das Interesse Mozarts an Wandlung und Versöhnung: "Es geht (ihm) um die Frage des Menschseins in der Krise. Wie verhält man sich, wenn man nicht mehr auf einem guten Weg ist, wenn man in einer schrecklichen Situation geprüft wird."
Im 'Faust' geht es Goethe um nichts anderes: Wie befreit sich der Mensch aus einer Krise, wie aus der Abhängigkeit von den dunklen Mächten in ihm? "Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen". Diese Erlösung finden wir im "Faust" wie auch überall in der Musik Mozarts.

Es ist sicher kein Zufall, dass in dem letzten Lebensjahr Mozarts - nach einem Jahr des Leidens und Schweigens das Lied "Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün" auftaucht (KV 596). Es steht eben für die Idee, dass das Leben nicht im Winter endet; der Frühling kehrt immer wieder. "Hier spricht die Utopie aus Mozarts Musik" (Sellars). Mit einer Utopie endet auch Goethes "Faust II" - mit der Utopie vom sozialen Frieden und der Möglichkeit sich vom Bösen zu befreien. So gesehen sind weder Mozart noch Goethe apolitische Künstler ihrer Zeit.
Ein paar Monate vor seinem Tode komponierte Mozart in diesem Geist seine Motette "Ave verum corpus" (K 618)- eines seiner herrlichsten Werke, geschrieben wohl in kaum einer Stunde.
Weil diese beiden Musikstücke so sehr der Hoffnung auf Veränderung Ausdruck geben, die neben dem Motiv der egozentrischen Zerstörungswut auch im "Faust" ständig mitschwingt, haben wir sie an jeweils zentralen Stellen in unsere Inszenierung genommen.
Sie verstärken neben der 'Waldesnacht' von Brahms und dem 'Abendlied' von Rheinberger (bei uns mit 'neuem' Text, Goethe nachempfunden) die eine Seite der "ach, zwei Seelen in der Brust" Fausts; die andere Seele versuchen wir durch eigene Kompositionen auszudrücken.

"Faust" und die Musik

Von Schiller ermutigt, griff Goethe die Arbeit am "Faust" 1797 wieder auf. Zwei Jahre nach dem Tod des Freundes beendete er den ersten Teil, "Faust. Eine Tragödie". 1819 gab es in Berlin eine kleine Privataufführung einzelner Szenen und erst am 19.Januar 1829 die deutsche Erstaufführung in Braunschweig. Goethe sah sie sich nicht an, vielleicht weil er gar nicht glaubte, dass sein Werk aufführbar sei; dem Direktor August Klingemann schrieb er: "Machen Sie mit meinem Faust, was Sie wollen!"

Dass Goethe von vornherein geplant hatte, an vielen Stellen den szenischen Ausdruck durch Musik zu verstärken, kann man schon den Regieanweisungen entnehmen. Am 28.02.1811 meldet er Zelter, "dass uns ein seltsames Unternehmen bevorsteht, nämlich den 'Faust' aufzuführen ... Möchten Sie uns wohl mit einiger Musik beistehen." Zelter lehnte ab und Goethe antwortete am 28.02.1811: "Dass Sie ablehnen, die Musik zum 'Faust' zu komponieren, kann ich Ihnen nicht verargen. Mein Antrag war etwas leichtsinnig, wie das Unternehmen selbst."

Auf jeden Fall wollte Goethe unbedingt Musik für sein 'Unternehmen', auch wenn ihm noch nicht so ganz klar war, wo und in welcher Form. So hatte er z.B. 1815 noch die Idee, den Anfangsmonolog "mit seltner musikalischer Begleitung rezitieren zu lassen" (Gespräch mit Fr. v. Matthisson). Er übertrug dem Musikdirektor Eberwein die Aufgabe, Kompositionen zum 'Faust' zu entwerfen. 1821 korrigierte er im Gespräch mit Förster diese Idee, den Anfangsmonolog mit Musik zu untermalen: "So angemessen der Stimmung die musikalische Begleitung zu Fausts Monolog ... sei, so störe es jedenfalls, dass der Sprechende, als abhängig, oft an unpassenden Stellen unterbrochen und aufgehalten von der musikalischen Begleitung erscheint."

Für die Vertonung des Textes 'Es war ein König in Thule', 'Meine Ruh ist hin', 'O neige, Du Schmerzensreiche', für den Chor der Geister und den Schlusschor gewann Goethe den Fürsten von Radziwill. Für den Tanz und Gesang des Volkes auf dem Osterspaziergang, für den Chor der Engel, den Gesang der Geister, die Walpurgisnacht und der Kerkerszene ('Meine Mutter, die Hur') waren weitere musikalische Umsetzungen vorgesehen. Musik-Theater oder zumindest Theater mit Musik - keine Frage!

Auch wenn Goethe sich mit den Vorschlägen Radziwills weitgehend einverstanden zeigte, konnte ihm das musikalische Konzept insgesamt nicht so recht gefallen: "Das Schwache ist ein Charakterzug unseres Jahrhunderts ... Doch, sagte ich (Eckermann), gebe ich die Hoffnung nicht auf, zum 'Faust' eine passende Musik kommen zu sehen. Es ist ganz unmöglich, sagte Goethe. Das Abstoßende, Widerwärtige, Furchtbare, was sie stellenweise enthalten müsste, ist der Zeit zuwider. Die Musik müsste im Charakter des 'Don Juan 'sein; Mozart hätte den 'Faust' komponieren müssen" (Gespräch mit Eckermann, 12.02.1829).

Im Oktober 2006 gab es vom Zelter-Ensemble Berlin eine bemerkenswerte Erstaufführung der "Compositionen zu Goethes Faust" von Heinrich von Radziwill. Unser Anliegen war es aber nicht, die Originalkompositionen in eine Faustinszenierung einzubeziehen; wir wollten gerne den Wunsch Goethes berücksichtigen, die Musik Mozarts einigen Textpassagen zu unterlegen, und dem Bedürfnis junger und jung gebliebener Menschen unserer Zeit entgegen kommen, neben der klassischen Musik auch vertraute Töne dieser Tage zu verwenden, um ihnen einen so großartigen Text leichter näher zu bringen; bisher war es doch ein eher akademisches Erlebnis, sich dem "Faust" zu öffnen. Musik aus dem Bereich Rock, Pop oder Jazz schien uns für die Verstärkung des szenischen und sprachlichen Ausdrucks, z.B. bei der Walpurgisnacht, der Hexenküche und einigen kraftvollen Passagen Fausts und Mephistos, besonders geeignet zu sein.
Um dennoch Goethe auch auf dieser Ebene möglichst nah zu bleiben, sind die Liedtexte - sofern sie nicht ohnehin der Originalvorlage entstammen - aus dem gestrichenen Textmaterial zusammengestellt worden.

Das Konzept

Zu unserem Inszenierungskonzept gehört

  • den "Faust I" einmal entsprechend Goethes Wunsch als Musik-Theater oder zumindest Theater mit Musik zu inszenieren,
  • die reine Aufführungszeit nicht über 135 Minuten auszudehnen,
  • den Text so zu kürzen, dass möglichst wenig vom gedanklichen Leitfaden und Gang der Handlung verloren geht,
  • größtmögliche Texttreue herzustellen,
  • die Musik so zu wählen, dass sie die jeweilige Situation und Befindlichkeit der Personen im Sinne Goethes verstärkt,
    eine Mischung aus klassischer und zeitgenössischer Musik zu finden, die den Text aus seiner Zeit abholt und einem heutigen Publikum neu vorstellt, ohne dabei seinen Charakter zu verändern,
  • Inszenierungsideen nicht zum Selbstzweck zu machen und den "Faust" nur als Folie für ein 'avantgardistisch und modern' erscheinendes Regietheater zu benutzen,
  • einen großen Chor immer wieder aus dem Publikum agieren zu lassen, ihn quasi auch als Stimme des Volkes mitspielen und eingreifen zu lassen,
  • auf ein opulentes Bühnenbild zu verzichten und die Aufführung mehr auf die Sprache und Musik zu konzentrieren;
  • Faust zu zeigen als den unersättlichen Machtmenschen, der er ist, der aber an der Frage scheitert, "was die Welt im Innersten zusammen hält"; heute wissen wir eher, was die Welt im Innersten auseinandersprengt. Heute wissen wir ebenfalls, dass die Physik an ihre Grenzen gekommen ist und Hypothesen aufstellt, die eher in der Metaphysik anzusiedeln sind; die Suche nach der Weltformel ist gescheitert und "wir sind der Wahrheit kein Stück näher"! Um so mehr gilt es, das Faustische zu zeigen, das auch heute noch beherrschend ist. Würde Faust bereit sein, Entbehrungen und einfache Arbeit zu ertragen, wie Mephisto es ihm rät, hätte er nicht die Probleme, die er nun einmal hat. "Begib dich gleich hinaus aufs Feld, beginn zu hacken und zu graben." - Genau das ist aber dem Herrn zu profan. So lässt er sich leiten durch die Sucht nach Entgrenzung, Einmaligkeit und Befriedigung des Egos, des Größenwahns, gleichgültig, ob dabei andere in die Katastrophe getrieben werden; der hybride Mensch, der bereit ist, sämtliche gesellschaftlichen Koordinaten über den Haufen zu werfen und an nichts mehr Gefallen findet: "Es möchte kein Hund so länger leben"; der Weg zur Verdammnis oder Erlösung hängt nur von dem Menschen selbst ab und nicht von Mephisto;
  • Mephisto zu zeigen als das Böse im Menschen, das Faust zum Vehikel des objektiven Fortschritts machen will, - kein fremder Geist, der Faust etwa widerwillig treibt und jagt, sondern eher ein anderer Teil seines Ichs;
  • Gretchen ernst zu nehmen in ihrer Kargheit und Naivität, die in ihrer kleinen Welt der ethischen und moralischen Werte für die bedingungslosen und menschenverachtenden Ansprüche unerreichbar bleibt, auch wenn sie zerstört wird; es wäre zu kurz gegriffen, sie als Dummchen darzustellen, auch wenn wir von heute aus geneigt sind, sie so zu sehen. Sie wird durch den Versuch, die bürgerlichen Normen gradlinig zu erfüllen, eher zum Opfer;
  • durch ein kleines "Vorspiel vor dem Vorspiel" zu große Ehrfurcht vor dem Text zu dämpfen und ihn vom klassischen Sockel auf unsere Erlebnisebene zu holen,
  • "Auerbachs Keller" etwas mehr dem Zeitgeist anzupassen
  • und durch das kleine "Nachspiel" einen Ausblick auf den "Faust II" und die mögliche Lösung der Fragestellung zu bieten, wer denn nun die Wette gewonnen hat; die 'Abkündigung', die sich eindeutig auf den "Faust I" bezieht und mit der unsere Aufführung schließt, ist ein Originaltext Goethes aus dem Jahre 1797.

 back to the top 

junges theater spectaculum e.V.